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EuGH: Beschränkung des Wahlrechts für die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat auf im Inland beschäftigte Arbeitnehmer ist mit dem Unionsrecht vereinbar

In einer lang erwarteten Entscheidung hat der EuGH am Dienstag den 18. Juli 2017 klargestellt, dass wesentliche Teile des deutschen Mitbestimmungsrechts nicht gegen europäisches Recht verstoßen. Der von manchen Stimmen befürchtete, von anderen herbeigesehnte große Umschwung zu einer Europäisierung der Mitbestimmung bleibt damit bis auf Weiteres aus.

Strassenansicht von Hochhaeusern

Der Gerichtshof hat entschieden, dass es mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Artikel 45 AEUV vereinbar ist, dass ein Mitgliedsstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsratsgremium eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind (Rs. C-566/15 – Erzberger).

Anlass für die Entscheidung bot ein Vorabentscheidungsersuchen gem. § 267 AEUV des Berliner Kammergerichts. Dieses war als Beschwerdeinstanz mit einem Statusverfahren nach § 98 AktG befasst. Der Beschwerdeführer Konrad Erzberger, Aktionär des Reisekonzerns TUI, war der Auffassung, dass der Aufsichtsrat der Gesellschaft nicht richtig zusammengesetzt sei, weil die hierfür geltenden Regelungen europarechtswidrig seien. Das Kammergericht zeigte sich offen für diese Argumentation und legte die Frage dem EuGH vor (Beschluss vom 16.10.2015 – 14 W 89/15).

In der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH am 24. Januar dieses Jahres hatte die EU-Kommission, die im Vorfeld noch eine andere Auffassung vertreten hatte, geäußert, dass die bestehenden deutschen Vorschriften als europarechtskonform angesehen werden könnten. Das System der Arbeitnehmermitbestimmung und dessen soziale Ziele seien derart wichtig, dass ihr Erhalt jede daraus möglicherweise resultierende Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit rechtfertige. In diese Richtung äußerten sich auch die Bundesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter in einer ungewöhnlichen, weil gemeinsamen Erklärung.

Die Entscheidung des EuGH: Keine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit

In seinem Urteil differenzierte der EuGH zwischen der Situation von derjenigen Arbeitnehmer des TUI-Konzerns, die bei einer Tochtergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland beschäftigt sind und den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern der Gruppe, die ihre Stelle aufgeben, um eine Stelle bei einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dieses Konzerns anzutreten.

Zunächst stellte der Gerichtshof fest, dass die Situation der im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer nicht anhand des allgemeinen Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu prüfen sei, sondern anhand der für den Bereich der Arbeitsbedingungen spezielleren in Artikel 45 AEUV gewährleisteten Arbeitnehmerfreizügigkeit. Deren Anwendungsbereich sei allerdings nicht eröffnet. Denn die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer seien nicht auf Arbeitnehmer anwendbar, die nie von ihrer Freizügigkeit innerhalb der Union Gebrauch gemacht haben oder Gebrauch machen wollen. Dass die Tochtergesellschaft, bei der die betreffenden Arbeitnehmer tätig sind, von einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert wird, sei insoweit ohne Bedeutung.

Unter die Arbeitnehmerfreizügigkeit falle allerdings grundsätzlich die Situation der Arbeitnehmer, die innerhalb des Konzerns von einem Arbeitsplatz in Deutschland auf einen Arbeitsplatz in einem anderen Mitgliedsstaat wechseln.

Der Verlust des aktiven und des passiven Wahlrechts für die Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der deutschen Muttergesellschaft sowie gegebenenfalls der Verlust des Rechts auf Ausübung oder weitere Ausübung eines Aufsichtsratsmandats stellten jedoch nach Auffassung des EuGH keine Behinderung der Freizügigkeit dar.

Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer garantiere einem Arbeitnehmer nicht, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat als seinem Herkunftsmitgliedstaat in sozialer Hinsicht neutral sein werde. Ein solcher Umzug könne aufgrund der Unterschiede, die zwischen den Systemen und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, für den betreffenden Arbeitnehmer je nach Einzelfall Vorteile oder Nachteile in diesem Bereich haben. Daher verschaffe die Arbeitnehmerfreizügigkeit dem Arbeitnehmer nicht das Recht, sich im Aufnahme-Mitgliedstaat auf die Arbeitsbedingungen zu berufen, die ihm im Herkunfts-Mitgliedstaat nach dessen nationalen Rechtsvorschriften zustanden.

Das Unionsrecht hindere einen Mitgliedstaat nicht daran, Regelungen im Bereich der kollektiven Vertretung von Arbeitnehmerinteressen in den Leitungs- und Aufsichtsorganen einer Gesellschaft nationalen Rechts zu erlassen, die nur auf die Arbeitnehmer inländischer Betriebe Anwendung finden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Gesellschaft bislang nicht Gegenstand einer Harmonisierung oder auch nur einer Koordinierung auf Unionsebene war und sofern eine solche Beschränkung auf einem objektiven und nicht diskriminierenden Kriterium beruht. Von dieser Möglichkeit habe Deutschland mit seiner Mitbestimmungsregelung Gebrauch gemacht.

Wenn also ein zuvor in Deutschland beschäftigter Arbeitnehmer infolge seiner Versetzung in einen anderen Mitgliedsstaat seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat verliere, sei dies nur Konsequenz der Entscheidung Deutschlands, die Anwendung seiner nationalen Vorschriften im Bereich der Mitbestimmung auf die bei einem inländischen Betrieb tätigen Arbeitnehmer zu beschränken.

Generalanwalt: Beschränkung wäre jedenfalls gerechtfertigt

Mit seiner Entscheidung ist der Gerichtshof der Argumentation des Generalanwalts gefolgt, der bereits in seinen Schlussanträgen ebenfalls Stellung zugunsten der Europarechtskonformität genommen hatte. Dieser hatte auch zur vom Gerichtshof nicht mehr zu entscheidenden Frage Stellung genommen, ob eine etwaig die Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränkende Wirkung der Mitbestimmungsregelungen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt gewesen wäre. Der Generalanwalt hatte dies bejaht.

Dabei hatte er sich nicht dem im Verlauf des Verfahrens u.a. von TUI sowie der Bundesregierung vorgebrachten Argument angeschlossen, das Territorialitätsprinzip, wonach die Zuständigkeit des deutschen Gesetzgebers auf das deutsche Hoheitsgebiet beschränkt sei, rechtfertige die deutsche Mitbestimmungsregelung.

Allerdings sei eine etwaige Beschränkung durch die deutsche Regelung beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts als Ausdruck bestimmter legitimer wirtschafts- und sozialpolitischer Entscheidungen als gerechtfertigt anzusehen. Die Unternehmensmitbestimmung sei ein wesentlicher Teil des deutschen Arbeitsmarkts und – allgemeiner – der deutschen Sozialordnung. Dazu gehöre auch, dass die Arbeitnehmer der einzelnen Gesellschaften eines Konzerns die Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat selbst organisierten. Diesen Grundsätzen liefe es zuwider, wenn die außerhalb Deutschlands beschäftigten Arbeitnehmer an den Wahlen teilnehmen müssten. Denn dies setze voraus, dass die Verantwortung für die Organisation und Durchführung der Wahlen von den Arbeitnehmern der einzelnen Konzerngesellschaften auf die Leitung der deutschen Muttergesellschaft übertragen werden müsste.

EuGH weiter mit deutscher Mitbestimmung befasst

Auch in Zukunft wird das deutsche Mitbestimmungsregime den EuGH weiter beschäftigen: Auf Ersuchen des LG Frankfurt (Beschluss vom 17.06.2016 – 21 W 91/15) wird er die Frage zu klären haben, ob die Regelungen des Drittelbeteiligungsgesetzes bzw. des Mitbestimmungsgesetzes mit europäischem Recht vereinbar sind, wonach für die Schwellenwerte von 500 bzw. 2.000 regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern Mitarbeiter in Konzernunternehmen im EU-Ausland nicht heranzuziehen sind. Nach der Entscheidung sieht es danach aus, als würde der Gerichtshof auch diese Frage positiv beantworten.

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