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Aufgeschoben ist nicht aufgehoben – Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub können noch Jahre später bestehen

Frau und Mann sitzen am Flughafen mit Smartphone

Der EuGH hat am 29. November 2017 (Az.: C 214/16) entschieden, dass durch den Arbeitgeber verhinderter bezahlter Urlaub unbegrenzt in die folgenden Arbeitsjahre übertragen und angesammelt werden darf. Insbesondere Scheinselbstständige können unter Umständen noch nach Jahren Bezahlung für ihnen zustehenden bisher nicht bezahlten Urlaub verlangen.

Conley King arbeitete 13 Jahre bei einem britischen Unternehmen auf der Basis eines Selbstständigen-Vertrags. Er erhielt keinen bezahlten Urlaub. Nach Eintritt in den Ruhestand erhob King Klage beim zuständigen Employment Tribunal, das seine Arbeitnehmereigenschaft feststellte und ihm den Anspruch auf Vergütung des ihm zustehenden – genommenen und nicht genommenen – Jahresurlaubs zusprach. Auch die höheren Instanzen gaben King Recht.

Das Court of Appeal (England & Wales) legte den Fall dem EuGH vor. Es sei fraglich, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn der Arbeitnehmer zunächst Urlaub nehmen muss, eher er feststellen kann, ob er Anspruch auf Bezahlung hat, ob eine Übertragung des Anspruchs möglich ist und ob der Anspruch in diesem Fall nur in einem begrenzten Zeitraum ausgeübt werden kann.

Im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens entschied der EuGH, dass Arbeitnehmer im Hinblick auf Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG zur Arbeitszeitgestaltung und das in Art. 47 GRC verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nicht zunächst Urlaub nehmen müssen, um gerichtlich feststellen zu lassen, ob sie Anspruch auf bezahlten Urlaub haben.

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs gehe ebenfalls hervor, dass die Richtlinie 2003/88/EG den Anspruch auf Jahresurlaub und den auf Zahlung des Urlaubsentgelt als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs behandelt. Durch das Erfordernis der Zahlung dieses Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist (vgl. Urteil vom 22. Mai 2014, Lock, C-539/12, EU:C:2014:351, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung). Folglich muss ein Arbeitnehmer, wenn er seinen Jahresurlaub nimmt, das Entgelt erhalten können müssen, auf das er gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG Anspruch hat.

Artikel 7 der Richtlinie stehe einer etwaigen nationalen Regelung entgegen, die es verbietet, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die in mehreren aufeinanderfolgenden Bezugszeiträumen wegen der Weigerung des Arbeitgebers, Urlaubszeiten zu vergüten, nicht ausgeübt worden sind, bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu übertragen und gegebenenfalls anzusammeln.

Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub sei, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Ein Arbeitnehmer, der sich in Unsicherheit in Bezug auf das ihm geschuldete Entgelt befinde, sei nicht in der Lage, diesen Urlaub voll und ganz als Zeitraum für Entspannung und Freizeit gemäß Artikel 7 der Richtlinie zu genießen. Solche Umstände können Arbeitnehmer außerdem davon abhalten, seinen Jahresurlaub überhaupt zu nehmen.

Anders ist dies jedoch zu beurteilen, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch aus von seinem Willen unabhängigen Gründen, nämlich wegen Krankheit, bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses nicht ausüben konnte. In diesem Fall ergeben sich regelmäßig Schwierigkeiten für die Arbeitsorganisation, die ein Abweichen vom Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub rechtfertigen. Hier bleibt es also bei der bisherigen Rechtsprechung.

Konnte der Arbeitgeber hingegen davon profitieren, dass der Arbeitnehmer bis zum Eintritt in den Ruhestand durchgängig gearbeitet hat, steht dem Arbeitnehmer der Anspruch auf Bezahlung unvermindert zu.

Ob Herr King im Laufe der 13 Jahre bezahlten Jahresurlaub beantragt hat oder nicht, sei irrelevant. Der Anspruch werde dem Arbeitnehmer unmittelbar durch die Richtlinie verliehen. Seine Entstehung dürfe nicht von zusätzlichen (nationalen) Voraussetzungen abhängig gemacht werden.

Selbst wenn der Arbeitgeber erwiesenermaßen irrtümlich davon ausgeht, dass dem „Scheinselbstständigen“ keine Ansprüche zustehen, muss er – unter Umständen noch Jahre später – dafür aufkommen. Es obliegt nämlich dem Arbeitgeber, sich umfassend über seine Verpflichtungen in diesem Bereich zu informieren. Ein Irrtum aufseiten des Arbeitgebers kann teuer werden. Unternehmen sollten die Entscheidung zum Anlass nehmen, zu überprüfen, ob es sich bei den für sie tätigen Selbstständigen nicht doch die Arbeitnehmer handelt. Das Risiko, auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für Urlaubsansprüche aufkommen zu müssen, besteht auch in Deutschland.

Dr. Michael Witteler
Dr. Michael Witteler

Dr. Michael Witteler ist spezialisiert auf datenschutzrechtliche Angelegenheiten an der Schnittstelle von Arbeitsrecht und Datenschutz. Er ist Head der PWWL Practice Group Data & Privacy.

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